Autor: admin

  • Zu Tode beschützt

    Unser Vater war einundneunzig Jahre alt und bis auf ein paar gesundheitliche Querelen immer noch ganz fit. Im Februar des Jahres 2020, kam er nach einem Sturz ins Krankenhaus in Seelow, von dort aus nach Frankfurt Oder ins Lutherstift zur Rehabilitation. Anfang März gab es dort, wie fast in jedem Herbst oder Winter Noroviren. Diese sind sehr ansteckend und für alte Leute und für kleine Kinder auch nicht ganz ungefährlich. Besuch war aber zugelassen mit einigen Sicherheitsvorkehrungen.

    Vater war zum Lockdown pünktlich wieder zu Hause, ein Glück. Bis Anfang August konnte er sein Leben so gut es in diesem Alter ging noch genießen. Er ging in den Garten um die Beete zu hacken, so wie er es liebte. Saß auf der Hollywoodschaukel und freute sich über den Besuch seiner Bekannten und Kinder. Über die Maßnahmen und die Politik schüttelte er schon lange den Kopf, doch vieles berührte ihn nicht mehr. Die Mädels vom Pflegedienst konnten die „Dinger“ im Gesicht, wie er die Masken nannte abmachen und sollten Luft bekommen, wenn sie schon bei ihm putzten und ihm die Medikamente brachten.

    Schreiben fiel ihm schwer doch er bemühte sich mit Hilfe seiner Kinder, auch die Geburtstagskarten für den Monat August für alle Kinder, Enkel und Urenkel, die in diesem Monat geborgen worden waren, vorzubereiten. Er hatte alles im Kopf und war völlig klar.

    Am dritten August aber stürzte er erneut im Bad und kam nach Seelow ins Krankenhaus. Natürlich unter Quarantäne und durfte nicht besucht werden. Plötzlich hieß es er könne nicht mehr alleine in seinem Haus, nur vom Pflegedienst und den Kindern betreut leben. Obwohl er sich wohl nicht ernsthaft verletzt hatte beim Sturz. Aber der Sozialdienst war im Urlaub und Vater lag in Quarantäne wegen Corona. Am Ende der Woche wurde dann entschieden ihn erneut nach Frankfurt (Oder) ins Lutherstift zu verlegen. Eine seiner Töchter durfte ihn am Wochenende kurz sehen, nach dem damals üblichen Prozedere einen Arzt konnte sie nicht sprechen.  Er wirkte sehr benebelt, was eigentlich sonst nicht der Fall war. 

    Am Montag den zehnten August fand die Verlegung vom Seelower Krankenhaus ins Lutherstift nach Frankfurt (Oder) per Transport statt. Vater hatte kein Corona und auch im Seelower Krankenhaus gab es zu diesem Zeitpunkt niemanden bei dem er sich hätte anstecken können.

    Das er sich in seiner letzten Lebensphase befand, hätten Ärzte und Schwestern durchaus erkennen können, sie kennen die Phasen des Sterbens zumindest aus ihrer Ausbildung und bestimmt aus ihrem Arbeitsalltag.

    Doch auch im Lutherstift wurde Vater wieder isoliert und unter Quarantäne gestellt. Am Dienstag gegen Mittag rief ein Arzt die Tochter zu Hause an, um ihr mitzuteilen, dass es dem Vater schlecht geht und er nicht weiß wie lange er noch zu leben hat. Aber Besuch könne er nicht zulassen, da Vater noch bis zum Mittwochmittag unter Quarantäne stehe.

    Am Abend erreichte uns alle die Todesnachricht.

    Ich habe mich mehr als einmal gefragt, warum man Menschen so sterben ließ, wovor man Sterbende eigentlich beschützen wollte und wo sollte sich jemand der diesen Sterbenden besucht hätte anstecken, da dieser doch Coronafrei war??? Sollte der Sterbende nicht an Corona sterben?? Wie absurd und unmenschlich es war, einen Menschen ohne, dass er und seine Angehörigen Abschied nehmen können sterben zu lassen, hat sich offenbar niemand gefragt. Unser Vater wurde zu Tode beschützt??? Wer möchte so seinen letzten Weg gehen und wie viele alte Menschen sind so verlassen gestorben, obwohl es nicht notwendig war???

    K. W. aus F.